Sie sind hier

Lesekreis vom 11.03.2019

Thema "AFRIKA"

Anita Tipotsch hat uns von "Südwind" einen Lesekoffer mit Büchern zum Thema besorgt. Jeder/Jede hat ein oder mehrere Bücher gelesen.

Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents

Von Lutz van Dijk

Gelesen im Jänner 2019 (Buch vom Lesekoffer über Afrika)

Über den Autor und seine Mitwirkenden:

Lutz van Dijk, Dr. phil., geboren 1955 in Berlin, lebt als Mitbegründer der Stiftung HOKISA (Homes for Kids in South Africa) seit 2001 in Kapstadt. Er ist Autor vieler Romane und Sachbücher für Jugendliche. 1997 erhielt er den Jugendliteraturpreis von Namibia, 2001 den Gustav-Heinemann-Friedenspreis, 2009 die Poetik-Ehrenprofessur der Uni Oldenburg.

Einfühlsam beschreibt Lutz van Dijk die Entwicklungen sowohl auf geschichtlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene in Afrika. Dabei ergänzen Erzählungen und Beiträge "afrikanischer Stimmen" das Geschriebene. Das Buch ist auch der einen Seite recht "kompakt" gehalten, andererseits werden viele Themenbereiche angeschnitten und erläutert. Eine Zeittafel im hinteren Buchteil listet die Geschehnisse auf dem afrikanischen Kontinent noch einmal übersichtlich auf. Eine super Geschenkidee für Afrikainteressierte!

Der Autor betont in seinem Vorwort, dass Afrika der Kontinent mit den meisten Kindern und Jugendlichen ist. „Die Hälfte aller Afrikanerinnen und Afrikaner ist heute 18 Jahre oder jünger.  Die Bevölkerungszahl wird in den nächsten Jahren explodieren und auf über 2 Milliarden Menschen anwachsen.  Der Kontinent stehe am Anfang seiner Entwicklung und versuche erst allmählich seine Kolonialgeschichte zu verarbeiten.  Und er schreibt weiter: In den letzten 500 Jahren haben die Völker Afrikas Erniedrigungen ertragen müssen, die wohl einmalig in der Geschichte der Menschheit sind: Sklaverei und Kolonialismus haben ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen. Neokolonialismus richtet weiter schlimmste Verwüstungen an. Die den Afrikanern bedeutsamen Werte werden verächtlich beiseitegeschoben, anstatt einen Dialog zu beginnen, mag er anfangs auch mühsam sein.“

Ich habe mir die Mühe gemacht, die Zahlen der Toten während der Kolonialzeit (incl. Sklaverei) mit den Zahlen der Toten von den Bürgerkriegen, die seit der Unabhängigkeit der meisten Staaten in Afrika zu vergleichen. Das ist natürlich nur eine ungenaue Zahlenangabe, denn der Autor hat ja kein wissenschaftliches Sachbuch geschrieben. Trotzdem zeigt es sich, dass die Probleme in Afrika nach der Kolonialzeit größer geworden sind.

Morde während der Kolonialzeit:

Ab 1518 jährlich ca. 3000 Sklaven für den portugiesischen König (bis 1543) ca. 75 000 Sklaven

Bescheidene Schätzungen gehen von 8 Millionen – wahrscheinlich aber eher 15 Millionen – Afrikanerinnen und Afrikaner, die als Sklaven während er Kolonialzeit deportiert wurden. Die Sklaverei wurde in England offiziell 1833 abgeschafft, in den USA erst 1863, in Saudi-Arabien 1963! 1904 Mord an 24 000 Hereros durch den deutschen General Lothar von Trotha. Im ersten Weltkrieg ließen wahrscheinlich 200 000 Afrikaner ihr Leben.  Auch im zweiten Weltkrieg verlieren mindestens 100 000 Afrikaner ihr Leben.  Im Algerienkrieg kommen fast eine Million Menschen ums Leben.  (1954 – 1962)                                                                                   Summe:  15 Millionen (insgesamt)

Tote aus den Aufständen und Bürgerkriegen seit 1950

Mau-Mau- Aufstand in Ostafrika (Kikuyu gegen andere Volksgruppen) 30 000  Tote

Liberia zwischen 1990 und 2000 kriminelle Banden                                   200 000 Tote

Zentralafrikanische Republik – Bokassa                                                         200 000 Tote

Uganda  - Idi Amin                                                                                              500 000 Tote

Mosambik – ab 1976                                                                                          100 000 Tote

Ruanda – 1994 Völkermord an den Tutsi                                                        800 000 Tote

Darfur – bis 2007                                                                                                  400 000 Tote

Südsudan – 2003                                                                                                2 000 000 Tote

Arabischer Frühling                                                                                                     ???

                                                                          Summe (innerhalb von 60 Jahren) 4,23 Millionen

 

Morgen werde ich zwanzig

Alain Mabanckou

Gelesen Ende Jänner 2019 - Buch aus dem Lesekoffer „Afrika“

Zum Autor:

Alain Mabanckou wurde 1966 in der Republik Kongo geboren. Mithilfe eines Förderstipendiums verließ er Ende der Achtzigerjahre seine Heimat, um in Paris sein Jurastudium fortzusetzen. Danach Eintritt in einen französischen Wirtschaftskonzern, für den er fast zehn Jahre lang als juristischer Berater tätig war. Während dieser Zeit erschienen zwei Lyrikbände und sein Debütroman, für den er den 'Grand Prix littéraire de l’Afrique noir' erhielt. Weitere Romanveröffentlichungen folgten, darunter 'African Psycho' (2003) und 'Black Bazar' (2009). Mit seinem Roman 'Stachelschweins Memoiren' gewann er 2006 den renommierten Prix Renaudot, 2012 wurde er von der Académie française für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature ausgezeichnet. Alain Mabanckou lebt in Paris und Los Angeles.

Kurzbeschreibung

Als Zehnjähriger hat man es nicht leicht. Überall auf der Welt, zu jeder Zeit. Michel ist zehn, es sind die Siebziger, und er hat es nicht leicht. Seine Freundin Caroline, die zwei Jahre älter ist und – wie Mama Pauline sagt „entwickelt“ – will ihn heiraten. Tonton Rene, Mama Paulines Bruder, ist ein waschechter moderner Kommunist. Marx und Engels verbindet er mit den Annehmlichkeiten der kapitalistischen Welt. Außerdem hat er es auf das Erbe der Mutter abgesehen. Und sitzt deswegen Mama Pauline ständig im Nacken. Papa Roger pendelt immer zwischen Mama Pauline und Mama Marine Hin und Her. Michel hat es echt nicht leicht.
Michels Welt dreht sich um Caroline, die plötzlich mit ihm Schluss macht, weil er ihr keine Gedichte schreibt (was „ihr Neuer“ natürlich macht). Sie dreht sich um Idi Amin Dada, den Menschenfresser aus Uganda. Und sie dreht sich um den gestürzten Schah von Persien. Das alles erfährt er von Papa Roger und dem neuen Radio, mit RekorderAlain Mabanckou erzählt mit der Leichtigkeit eines Kindes aus dem Leben eines Jungen, der der Zeit das Beste abzuringen versucht. Materiell geht es ihm gut, doch deswegen versteht er noch lange nicht die Welt der Erwachsenen, zu der ja auch eines Tages gehören wird.
Doch eigentlich ist er schon mittendrin. Tagtäglich hört er die Nachrichten. Sie sind Bestandteil seines Lebens. Er fragt sich, warum immer nur Schlechtes in der Welt passiert. Michel ist viel früher erwachsen als ihm lieb sein kann. Er nimmt es mit der Unbekümmertheit eines Kindes hin.
„Morgen werde ich zwanzig“ ist aus der Sicht eines Jungen geschrieben, der dem Leser Afrika zeigt wie kaum jemand zuvor. Alain Mabanckou trifft mit jeder Silbe die Seele Afrikas.

Meine Meinung:

Der Inhalt wird in der Amazon Rezension zum größten Teil bereits wiedergegeben. Allerdings fehlt der für Michel wohl auch sehr wichtige Teil: Seine Mutter Pauline will unbedingt noch ein Kind und kommt, nachdem sie weiße und schwarze Ärzte umsonst aufgesucht hat, zu einem Fetischeur, wie im Kongo die Medizinmänner genannt werden. Dieser redet ihr ein, sie könne kein Kind mehr bekommen, weil Michel den Schlüssel zu ihrem Bauch versteckt habe und er ihn nur herausgeben werde, wenn seine Wünsche in Erfüllung gingen. So wird Michel mit Geschenken überhäuft, ohne dass er weiß warum, bis ihm sein Freund das Geheimnis anvertraut. Und der bittet ihn, Pauline doch den Schlüssel zu geben, weil sie so unglücklich sei. In diesem Schlusskapitel erfährt man, welche große Bedeutung Aberglaube heute noch hat.  Diese Geisteshaltung ist uns Europäern fremd. Wir lachen über den Ahnenkult der Afrikaner und fühlen uns gescheiter, weil wir nur an das glauben, was man sehen und hören kann. Ein alter Mann, der als Verrückter auf der Straße lebt, hilft Michel bei der Suche nach dem Schlüssel. Schließlich schenkt er ihm einen alten Schlüssel, den er seiner Mutter überreicht. Die ist natürlich glücklich über dieses Geschenk. Was mir gut gefallen hat war die Sprache des Autors, der sich tief in den jungen Michel hineinversetzt hat. Dazu kommt noch sein eigenartiger Humor, teils kindlich, teils tiefschwarz. Wer sich für afrikanische Gegenwartsliteratur interessiert, sollt dieses Buch auf alle Fälle lesen.